Wir und der Holocaust – Vergangenheit, die nicht vergeht?
Am 17. September 2012 hatte der Leistungskurs Geschichte die Ehre, dem Holocaust-Überlebenden Horst Selbiger zu begegnen. 1928 in Berlin geboren und auch dort aufgewachsen, erlebte er Ausgrenzung, Entrechtung und Drangsalierung am eigenen Leib – von seinem fünften bis zu seinem 17. Lebensjahr war er dem Terror des NS-Regimes ausgesetzt, den er jedoch glücklicherweise überleben konnte. Zusammen mit hunderten anderen Ehepartnern von Juden gelang es während des „Rosenstraßen-Protestes“ seiner christlichen Mutter, die bereits kurz bevorstehende Deportation von ca. 2000 Juden, darunter Horst Selbiger und sein Vater, nach Auschwitz zu verhindern.
Horst Selbiger blieb in Deutschland, siedelte zunächst nach Ost-Berlin über, ehe er sich 1964 in die Bundesrepublik absetzte. Seit 2001 steht er dem Verein „Child Survivors Deutschland“ vor, der sich u.a. „die Zeitzeugenschaft unserer Mitglieder für die politische Bildung“ zum Ziel gesetzt hat. Und so stand er auch dem Geschichts-LK Rede und Antwort.
Horst Selbigers Besuch wurde ausführlich vor- und nachbereitet, was aus Perspektive einer Lehrkraft einige interessante Beobachtungen ermöglichte. Es wurde deutlich, dass das Dritte Reich und der Holocaust eine belastende Vergangenheit auch für heutige Schülerinnen und Schüler darstellt, obwohl diese 50 Jahre nach Kriegsende geboren wurden. Bereits bei der Beschäftigung mit den Verbrechen der Wehrmacht im Osten wurde spürbar, dass sich einige der Lernenden hierdurch hallo zusammen belastet und angegriffen fühlten. Grundtenor: Wir wissen doch, dass die Nazis Verbrechen gegangen haben – das muss uns doch nicht ständig wiederholt und erweitert werden! Auch wenn sich hierbei die übliche sprachliche Distanz zeigt („die Nazis“, „Nazi-Deutschland“, „die Deutschen damals“ – während natürlich „wir“ 1954 Weltmeister wurden, ja auch vor 1933 verloren „wir“ den Ersten Weltkrieg), so ist die deutsche Geschichte doch offenbar auch Teil der Schülervergangenheit geworden. Und so gab es vor dem Zeitzeugenbesuch zunächst auch kritische Stimmen, die auf den auch für die Nachgeborenen schwierigen Umgang mit der „Vergangenheit, die nicht vergeht“ (Ernst Nolte) verweisen. Ein Schüler äußerte offen, er sei angesichts der von ihm wahrgenommenen ständigen Präsenz der Thematik in Medien und Unterricht völlig abgestumpft und empfinde „nichts mehr“ - offenbar nimmt er eine „unaufhörliche Präsentation unserer Schande“ (Martin Walser) wahr. Wenn ihm nun aber ein Opfer des Holocausts gegenüber stehen würde - dann würde er zweifellos ein „tierisch schlechtes Gewissen“ kriegen.
Setzen, 1! Genau das war ein wesentliches der (erreichten!) Ziele der Konfrontation mit einem Zeitzeugen – aus nackten Zahlen, Daten und Fakten wurden plötzlich unmittelbar greif- und spürbare, individuelle Einsichten und Erfahrungen, wovon die nachfolgenden analytischen Protokolle Zeugnis geben sollen.
In der Nachbesprechung wurde erneut nachdrücklich deutlich, dass sich auch heutige Schülerinnen und Schüler mindestens unwohl fühlen, wenn sie mit den Taten ihrer (unserer) Vorfahren konfrontiert werden. Einige Äußerungen der Schülerinnen und Schüler weisen unmissverständlich darauf hin, dass sie tatsächlich durch den Zeitzeugenbericht nicht nur emotional angesprochen wurden, sondern sich zudem auch individuell betroffen fühlten - dass man sich nämlich angegriffen dafür fühle, was die eigenen (Ur-)Großeltern getan hätten.
Es soll hier nicht darum gehen, ob sich die Schülerinnen und Schüler zu Recht oder zu Unrecht moralisch verurteilt fühlen – wesentlich ist, dass sie sich hierdurch als unmittelbar betroffen wahrnehmen. Wenn auch nicht Teil der eigenen unmittelbaren Vergangenheit, die ja erst in den 90ern begonnen hat, so gehört die deutsche Geschichte offenbar auf andere Weise zur Vergangenheit auch der Lernenden. „Jeden Tag besucht uns derselbe Parasit, im Kopf und auf den Schultern, der Ballast der Republik“ (Die Toten Hosen) – wie hier im Liedtext ausgedrückt, so kann also auch nicht selbst erlebte Vergangenheit Teil der eigenen Geschichte sein. Wie jedes Volk besitzen natürlich auch wir Deutsche eine spezifische kollektive Identität – und diese wiederum wird wesentlich durch die kollektive Erinnerung geprägt. Oder woher wissen, wer wir sind, wenn wir kein Gedächtnis haben? Was für den einzelnen Menschen gilt, gilt im größeren Rahmen ebenso für ganze Gruppen. Während andere Nationen sich relativ leicht durch positive Erinnerung definieren können (die Franzosen z.B. als heldenhafte Rebellen, die die Bastille stürmten; die Briten als mächtige Herrscher der Weltmeere; die Amerikaner als freie Erfinder der Demokratie), so fällt solches uns Deutschen angesichts unserer Vergangenheit deutlich schwerer – wir sind nun mal Kinder, Enkel und Urenkel der Henker von Auschwitz. Auch diese Vergangenheit gehört zum Ballast der Republik, den auch heutige Schülerinnen und Schüler zu tragen haben oder zu tragen meinen. Wer sich bewusst als Deutscher identifiziert, der muss folglich auch der deutschen Geschichte begegnen – und „dazu gehört, nicht nur Filme über Goethe und Bismarck zu sehen, sondern auch über die Zeit des Nationalsozialismus“ (Ignaz Bubis), auch wenn dies den Seelenfrieden unschuldiger junger Seelen bis heute stört.
Dr. Thomas Diehl
I) Schritte der Entrechtung
„Deutsche, lasst euch nicht von Juden behandeln!“ Ein Schild mit diesem Aufdruck befand sich vor der Zahnarztpraxis Erich Selbigers. Dies war jedoch nur der Anfang einer schrecklichen Diskriminierung. Es sollten noch weitere Verbote und rechtliche Demütigungen folgen.
Sein Sohn, der heute 84-jährige Horst Selbiger, ist einer der letzen Überlebenden der NS-Zeit und berichtete uns ergreifend von seinen Erlebnissen, die sein Leben auf ewig prägten.
Mit der Machtergreifung Hitlers 1933 stieg der Hass gegen die Juden erschreckend an. Mit dem Reichstagsbrand Ende Februar 1933 wurden alle vermeintlichen politischen Gegner verfolgt – wozu aus Sicht der Nazis alle Juden zählten. Schon nach kurzer Amtszeit wurden Gesetze zur Ausgrenzung der Juden erlassen. Der legalisierte Terror verschärfte sich erheblich. Juden waren im öffentlichen Dienst nicht weiter erwünscht und selbst am öffentlichen Leben durften sie keinen Anteil mehr nehmen. Der Arierparagraph führte beispielsweise dazu, dass Juden von Vereinen nicht mehr aufgenommen wurden. Selbst der Besuch von Schwimmbädern, Konzerten, Kinos oder öffentlichen Bücherein wurde ihnen nach und nach untersagt. Den verbleibenden Juden im öffentlichen Dienst wurde die Schließung ihrer Praxen oder Kanzleien befohlen. Wie auch dem Vater Horst Selbigers. Doch der ehemalige Soldat des Ersten Weltkrieges widersetzte sich dieser Aufforderung. Mit dem Aufruf „Kauf nicht bei Juden!“ wurden am 01.April 1933 jüdische Geschäfte boykottiert. Später folgte die endgültige Ausschaltung aus dem Wirtschaftsleben. Betriebe mussten gekennzeichnet und registriert werden, wobei der Großteil der jüdischen Bevölkerung aus ihren Berufen entlassen wurde.
Es folgte der Eingriff in das Privatleben der jüdischen Bevölkerung in Deutschland. Ehen zwischen Juden und Ariern sollten geschieden werden, wobei neue Eheschließungen verboten waren, festgelegt durch die Nürnberger Gesetze 1935. Sogar Geschlechtsverkehr zwischen Deutschen und Juden wurde bestraft. Außerdem wurde unterschieden zwischen Volljuden, Halbjuden und Vierteljuden. Mit einem großen J auf ihrem Reisepass wurden Halb- und Volljuden gekennzeichnet. Im Juli 1938 wurden Kennkarten eingeführt. Zudem mussten ab dann jüdische Frauen den Vornamen Sara und jüdische Männer den Vornamen Israel annehmen.
Eine weitere Maßnahme war die erzwungene Abgabe des eigenen Besitzes. Viele „Arier“ bereicherten sich in dieser Zeit mit dem günstigen Erwerb jüdischen Vermögens. Im Oktober 1938 mussten die Juden ihre Reisepässe abgeben. Darauf folgte in der Nacht vom 09. auf den 10. November 1938 die „Reichspogromnacht“, in der Synagogen angezündet und andere jüdische Einrichtungen geplündert und zerstört wurden. Durch die Beschlagnahmung der Versicherungsansprüche, eine erzwungene „Sühneleistung“ von 1 Milliarde Reichsmark sowie den Entzug des Mieterschutzrechts verloren sie ihre restliche wirtschaftliche und rechtliche Sicherheit. Langsam aber sicher wurden ihnen nun jegliche Lebensgrundlagen entzogen und einfach Dinge wie Kleider, Nähzeug, Seife oder Brennmaterialien wurden ihnen untersagt.
Die Ghettoisierung wurde eingeleitet und führte zur absoluten Isolation der jüdischen Bevölkerung. Sie mussten einen Judenstern tragen, durften keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr benutzen und bekamen eine beschränkte Einkaufszeit zugeschrieben.
Horst Selbiger erfuhr diese Schritte der Entwürdigung am eigenen Leibe und verlor zudem 61 seiner Angehörigen. Die Erzählung dieses Schicksals berührte uns sehr und wir fühlen uns zu großem Dank verpflichtet, dass er uns Einblicke in sein Leben gewährte.
Eine solche Geschichte sollte nie in Vergessenheit geraten …
Karina Funk, Anna-Maria Fischer und Julia Mertens
II) Leben als Volksfeind
Mit dem Beginn der Herrschaft der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 ging relativ zeitnah das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ einher, welches die Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung aus dem deutschen Beamtentum besiegelte. Dieses Gesetz ging später als „Arierparagraph“ in die Geschichte ein. Später gelang es den Nationalsozialisten im Zuge verschiedener „Gleichschaltungsgesetze“ sowie anderer antijüdischer Geetze, die Juden aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens auszuschalten. Dazu gehörten ab 1940 maximale Ausgehzeiten bis 20 Uhr abends sowie eine limitierte Zeitspanne zum Einkaufen, nämlich von 16 bis 17 Uhr nachmittags. Übertragen auf unseren Gast Horst Selbiger dazu ein Beispiel: Als seinem Vater (dieser war Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg und fühlte sich wie jeder andere Bürger als Deutscher) befohlen wurde, seine Zahnarztpraxis zu schließen, wollte er dieser „Bitte“ nicht nachgehen. Daraufhin wurde die Schließungsanordnung aufgehoben, jedoch nur mit der Auflage, dass er nun ausschließlich Juden behandeln dürfe. Horst Selbiger selbst ging während dieser Zeit zur Schule. Gleichzeitig zur Diskriminierung der Juden in der Öffentlichkeit fand selbige auch in der Schule statt: Schläge und Beschimpfungen wie „Judensau“ waren an der Tagesordnung. Diese Isolation wurde durch weitere „Anti-Judengesetze“ des NS-Regimes stärker. Herr Selbiger nahm daher Boxunterricht, setzte sich in der Schule zuerst verbal, später dann auch physisch zur Wehr. Erst 1938, im Alter von 10 Jahren, wurde Horst Selbiger zwangsweise auf eine jüdische Schule umgeschult, doch auch auf den Wegen zu dieser wurde er von christlichen Kindern gepeinigt und gedemütigt.
Die Juden waren, jung oder alt, grenzenloser Gesetzlosigkeit ausgeliefert.
Auch der Besuch der jüdischen Schule brachte keine Besserung, zum einen wegen der oben erwähnten Tatsache der öffentlichen Diskriminierung, zum anderen wegen der Tatsache der voranschreitenden Judendeportationen in Deutschland. Täglich verschwinden Mitschüler und Lehrkräfte, an einen normalen Schulalltag ist nicht zu denken. Auch fragt sich Horst Selbiger, warum Ihnen in der Schule jüdische Geschichte gelehrt wird, wenn „sie doch sowieso alle weggeschafft werden.“ Daraus lässt sich eine Form von Angst, aber auch Protest erkennen. Nur seine beste Freundin Esther lässt ihn in diesen schweren Zeiten nach vorne blicken. Doch auch sie werden getrennt. Herr Selbiger muss die Schule im achten Jahrgang – ohne jeglichen Abschluss - abbrechen. Er wird von der zuständigen Behörde zu gesundheitsgefährdender Zwangsarbeit gezwungen - unter unmenschlichen Bedingungen riskiert er tagtäglich seine Gesundheit, da er mit giftigen und ätzenden Stoffen arbeiten muss, immer nur in Gedanken, irgendwann selbst deportiert zu werden. Dieser Tag tritt 1943 ein. Er wird von seiner Arbeitsstelle in eine Synagoge gebracht, von wo aus er deportiert werden soll. Erst dort trifft er wieder auf seine Jugendliebe Esther. Doch nach wenigen Tagen werden sie wieder getrennt, was Herrn Selbiger Gott anklagen lässt. Esther wird in ein Konzentrationslager deportiert, er selbst wird mit 2000 weiteren Juden in die Berliner Rosenstraße geschafft, was, wie sich später herausstellt, sein Glück war. Glück, sofern man von diesem sprechen konnte, jedoch nur durch den Aufstand in der Rosenstraße 1943: „Arische“ Ehepartner forderten die Freilassung ihrer Ehepartner. Bereits am Abend des 27. Februar bildete sich vor dem Gebäude eine Menschenmenge, die sich vorwiegend aus Frauen und Angehörigen der Inhaftierten zusammensetzte. Zeitweilig wurde unüberhörbar die Freilassung dieser Angehörigen gefordert. Im folgenden Monat kamen die ersten der 2000 inhaftierten Juden frei. Wahrscheinlich kamen aller inhaftierten Juden mit der Zeit frei.
„Mit systematischer Grausamkeit wurde den Juden die Lebensgrundlage entzogen“, so schließt Herr Selbiger das Thema. Seinen Glauben an Gott habe er angesichts seiner Erfahrungen verloren: Wie soll er an einen solchen Gott glauben, der so etwas geschehen lässt, fragt er sich zum Schluss selbst …
Nico Möller
III) Überlebensstrategien
Am 17.09.2012 besuchte der jüdische Zeitzeuge Horst Selbiger den Geschichts-LK des Jahrgangs 13. Dort berichtete er über die NS-Judenpolitik und ihre Auswirkungen, dabei ging er speziell auf sein eigenes Leben ein. Einer der ersten Schritte der NS-Judenverfolgung war die Einschränkung des jüdischen Geschäftwesens. Dies betraf auch Selbigers Vater, welcher als Zahnarzt tätig war. Seine Praxis sollte geschlossen werden, jedoch legte er Einspruch dagegen ein. Hierbei betonte er seine herausragenden Leistungen im Ersten Weltkrieg. In Folge dessen durfte die Praxis zwar weiter betreiben werden, jedoch durften nur noch Juden behandelt werden.
Dies ist eines von vielen Beispielen, wie Juden der Verfolgung zu entgehen suchten. Auch Horst Selbiger musste schon in seiner Kindheit Schmähungen entgegen nehmen. Hieraus entwickelte sich eine rebellische Haltung gegenüber der Unterdrückung. Um sich gegen seine Klassenkameraden wehren zu können, begann er mit dem Boxsport und wehrte sich fortan mit physischer Gewalt. Andere Juden gingen in den Untergrund oder beschlossen auszuwandern. Als er später auf eine jüdische Schule ging, traf er sich immer mit seinen Klassenkameraden, um gemeinsam zur Schule zu laufen. Als die Judenverfolgung später während des Weltkriegs ihren Höhepunkt erreichte, wurde die gesamte Familie Selbiger gefangen gesetzt. Der Vater Selbigers konnte der Deportation entegehen, indem er mit Hilfe von Bestechung stets für „nicht transportfähig“ erklärt wurde. Ein großer und entscheidender Einflussfaktor waren die nicht-jüdischen Ehepartner (wie die Mutter Horst Selbigers), welche durch ihre Treue die Ehe, trotz Drohungen, bestehen ließen. Diese Treue rette Viele vor der Deportation. Erst auf dem Gipfel der Judenverfolgung gingen die Nazis auch gegen verheiratete Juden vor. Doch durch Beschwerden und Demonstrationen konnten ebenfalls vielen Juden das Leben gerettet werden. Auch Selbiger durfte dies erfahren, als seine Mutter in der Rosenstraße für die Freilassung von ihm und seinem Vater demonstrierte. Mit Erfolg.
Jonathan Frost, Nico Treibert und Florian Messer
IV) Das Leben nach dem Holocaust
Der Krieg und somit der Holocaust wurde am 08. Mai 1945 beendet. Selbstverständlich war das Geschehene für die Opfer damals noch nicht vorbei. Es mussten jahrelange Entbehrungen, Verachtung, Unterdrückung und Folterung verarbeitet werden. Juden standen größtenteils vor dem Nichts, kein Besitz und keine Familie.
Nach eigenen Aussagen weigerte sich Horst Selbiger eine Zeit lang, seine Muttersprache Deutsch zu sprechen, was er aus heutiger Sicht aus Protest getan habe. Und trotzdem blieb er in Deutschland, was er ebenfalls mit einer Protesthaltung begründete, damit nämlich Hitler nicht im Nachhinein das Ziel eines judenfreien Deutschlands erreichen konnte.
Die Verarbeitung der Geschehnisse wurde für die Juden in Deutschland insofern noch erschwert, dass die mit der Aufarbeitung und Entschädigung betrauten Beamten dieselben waren, welche die Juden Jahre zuvor ausbeuteten. Desweiteren sei die Enttäuschung darüber groß gewesen, dass viele ihrer Peiniger mit geringen Strafen davon kamen oder dass ihnen durch offizielle Institutionen die Flucht ermöglicht wurde. Laut Herrn Selbiger sei die Wiedergutmachung nur eine Sprechblase, denn es sei keine intensive Abrechnung mit den Verbrechern der nationalsozialistischen Herrschaft erfolgt, weil man die Deutschen nun für den Kalten Krieg benötige.
Im Gespräch verwendete er ein Zitat Marcel Reich-Ranickis, um das Leid und die dauerhaft zu tragende Last bis heute zu beschreiben: „Uns [Juden] wurde ein Brandzeichen in die Seele gestempelt!“Er versucht, mit dem Verein „Child Survivors“ die Vorkommnisse im Dritten Reich zusammen mit Menschen, die ähnliche Schicksale erlitten, zu verarbeiten. Die späte Gründung des Vereins erst 2001 zeigt, dass das Erlebte in frühen Jahren sehr schwer zu verarbeiten war und die Verarbeitung nie endet. Beispielsweiße sagte er über seine 1943 deportierte Jugendliebe Esther: „Ich suche Sie mein Leben lang.“
Mittlerweile hat der Verein sich von einer Selbsthilfegruppe zu einer Aufklärungsvereinigung entwickelt, welche sich zum Ziel gesetzt hat, über das Geschehen zu informieren und aufzuklären.
Johannes Wagner, Emanuel Dewald, Markus Funk, Philipp Schreiber und Fabian Degenhardt
V) Umgang mit dem Holocaust in DDR und BRD – nach Auskunft und Wahrnehmung Horst Selbigers
BRD | DDR |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Umgang mit dem Holocaust heute
Laut Horst Selbiger halte sich das Klischee, dass die NS-Diktatur auch positive Seiten habe, bis heute. Das bedeutet also, dass auch heutzutage noch einige Menschen das Regime Hitlers in Teilen unterstützen würden.
Allerdings widerlegte Horst Selbiger diese Ansicht, denn er meint, dass der "Röhm - Putsch" ein Beispiel dafür repräsentiere, wie grausam und heimtückisch die Nationalsozialisten allein schon mit den eigenen Anhängern umgegangen seien. Dies sei ein Zeichen dafür, dass es keinerlei positive Aspekte im Nationalsozialismus gegeben habe.
Heute versuche man allerdings durch Ausstellungen wie den "Zug der Erinnerung", wo keine entsetzlichen Bilder, sondern Andenken wie Fotos aus den betroffenen Familien gezeigt werden, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Horst Selbiger vertritt jedoch die Ansicht, dass diese Art der Aufarbeitung noch nicht ausreiche und bleibt daher durchaus kritisch, was den Umgang mit dem Holocaust heute betrifft. Für ihn sei dieser Teil der Geschichte praktisch nicht aufgearbeitet.
Jeanette Holl und Anna Knaut